Umgestaltung Pagenstecherstraße

Bereits im Juni 2022 hatte eine Mehrheit des Osnabrücker Stadtrates unter Federführung der Grünen Ratsfraktion eine zukunftsweisende Entscheidung zur Umgestaltung der Pagenstecherstraße getroffen: Reduzierung von vier auf zwei Fahrspuren für den motorisierten Individualverkehr, Reduzierung des Parkraums, Einrichtung breiter Radwege und Fußwege in beiden Richtungen, und: Bewahrung der alten, breitkronigen Platanen als wichtigen, schattenspendenden – und damit temperatursenkenden – Baumbestand über dem dunklen Asphalt. Nach Intervention der IHK und „betroffener“ Unternehmen wurde dieser Beschluss komplett gekippt, es soll bei vier Fahrspuren bleiben und 27 Platanen stehen wieder zur Disposition. Am 08.11.2022 steht nun eine erneute Abstimmung an, die sowohl die Neuverteilung des Verkehrsraums zugunsten des umweltfreundlichsten Verkehrsmittels, des Fahrrades, als auch der Ziele des „Konzeptes zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels der Stadt Osnabrück“ von 2017 konterkariert. Mit unserem Offenen Brief unterstützen wir die daraufhin vehement einsetzende öffentliche Reaktion und das starke Engagement vieler Bürger*innen, die im Bereich Verkehrswende, Radentscheid, städtische Klimaresilienz und Klimakrise mit wissenschaftlichen Fakten, z.B. zur Wirksamkeit breitkroniger, ausgewachsener Platanen. Darüber hinaus bieten wir weitere Zusammenarbeit und die wissenschaftliche Untermauerung von Argumentationen an.

Text: Wolfgang Schaefer

Offener Brief an alle Ratsfraktionen und Frau Oberbürgermeisterin Pötter

Mit großer Sorge haben wir aus der Presse erfahren, dass der schon beschlossene Bestandsschutz für die 27 Platanen an der Pagenstecherstraße durch politische Einflussnahme nun wieder zur Disposition steht. In einer Pressemitteilung in der NOZ vom 4.10.2022 wird berichtet, dass aufgrund von Bedenken der gewerblichen Anlieger und Anliegerinnen in Bezug auf ihre reibungslose Belieferung nun doch wieder überlegt wird, die Platanen zu fällen. Aus wissenschaftlicher Sicht können wir nur dringend davon abraten, dieses Vorhaben umzusetzen. Aus der Forschung ist hinlänglich belegt, dass Bäume für eine klimaresiliente Stadt sehr wichtig sind. Dabei spielen insbesondere breitkronige, trockenresistente Bäume wie Platanen eine entscheidende Rolle, weil sie die Flächen darunter um bis zu 10°C abkühlen. Gerade der letzte Sommer hat einen Vorgeschmack darauf gegeben, was uns in den nächsten Jahrzehnten bevorsteht. In den vergangenen Sommermonaten wurden über den unbeschatteten Asphalt- und Betonflächen der Pagenstecherstraße an einigen Tagen Spitzenwerte von weit über 40°C gemessen. Alle Klimamodelle sagen voraus, dass diese Temperaturen durch den Klimawandel in den nächsten Jahrzehnten deutlich ansteigen werden. Für diese Entwicklungen gilt es sich zu rüsten. Wissenschaftliche Studien weisen nach, dass grünere Städte auch kühlere Städte sind (s. Liu et al. 2022). Der Ersatz der bestehenden Platanen durch Neuanpflanzungen hilft da nicht, da es auf die breitkronige Beschattung der dunklen, wärmespeichernden Asphaltflächen ankommt. Neuanpflanzungen würden Jahrzehnte brauchen, um einen ähnlichen Schatteneffekt zu erzielen. Es bleibt zudem fraglich, ob neu angepflanzte Bäume in nahezu vollständig versiegelten Nutzflächen der Gewerbebetriebe überhaupt eine Chance hätten, mit fortschreitendem Klimawandel die nötige Größe zu erreichen. Wir halten es nicht für angemessen und schon gar nicht für sinnvoll, auf der Basis wirtschaftlicher Befürchtungen von Anliegern und Anliegerinnen die Klimaresilienz der Stadt aufs Spiel zu setzen. Der in der Pressemitteilung konstruierte Gegensatz zwischen Radverkehrsicherheit und Baumschutz existiert so nicht. Es gibt außerdem Alternativkonzepte (Natruperstraße als Fahrradstraße), die erstaunlicherweise nicht weiter berücksichtigt wurden.

Wenn die Verkehrswende gelingen soll, darf der Individual- und Lieferverkehr nicht mehr die oberste Priorität haben, sondern intelligente Verkehrskonzepte, die die Klimaresilienz der städtischen Lebensräume stärken. Nicht zuletzt werden die wirtschaftlichen Interessen der Anlieger und Anliegerinnen langfristig leiden, wenn in naher Zukunft, aufgrund fehlender Beschattung über Asphalt- und Betonflächen, Temperaturen von 50°C und mehr erreicht werden und der Asphalt dann nicht mehr zu befahren sein wird.

Wir nehmen die Bedenken der gewerblichen Anlieger und Anliegerinnen ernst und tragen gerne, falls gewünscht, mit weiteren fachlichen Informationen zu einem Austausch mit den Gewerbetreibenden und der Stadt bei.

Literatur: Liu, Z., Zhan, W., Bechtel, B. et al., Surface warming in global cities is substantially more rapid than in rural background areas. Commun Earth Environ 3, 219 (2022). https://doi.org/10.1038/s43247-022-00539-x

Für die Scientists for Future, Regionalgruppe Osnabrück

Dr. Roger Dietrich, Dr. Wolfgang Schaefer, Dr. Carola Meyer, Prof Dr. Chadi Touma, Dr. Annette Hohenberger, Kathrin Beinke, Prof. Dr. Markus Große Ophoff